Blick in den Rückspiegel

Zwei Todesfälle in der Großfamilie innerhalb weniger Tage – da kommen aus verschiedenen Ecken vielfältige Erinnerungen an die Oberfläche des Bewusstseins. Es sind nicht nur schöne Dinge, an die du dich erinnerst. In die Trauer – vor allem die Trauer über das Unwiederbringliche fröhlicher Stunden – mischt sich hier und da nachwirkender Ärger über erlittene Kränkungen und dann das Bedauern über Fehler, die du selbst gemacht hast. Jetzt ist es zu spät, um noch irgendetwas zu klären oder um Verzeihung zu bitten.

Du blickst in den Rückspiegel. Du denkst nicht nur an die, die vor einigen Tagen gestorben sind, sondern an viele andere. An Menschen, die dir die liebsten waren und mit denen du nie mehr zusammen essen und trinken, reden, lachen und singen kannst.

youtube abspiel button  Looking back over my shoulder

Heute habe ich mir diesen Song, den ich sehr schätze, noch einmal angehört. Mehr als sonst haben mich diesmal Musik und Text berührt. But it’s enough to make a grown man cry … Everyday, it’s a losing battle Just to smile and hold my head up high …

In den Rückspiegel schaute wenige Jahre vor seinem Tod auch Dilgo Khyentse, einer der bedeutendsten buddhistischen Meister des vorigen Jahrhunderts und ehemaliger Lehrer des Dalai Lama, am Ende einer seiner Belehrungen. Sein Schüler Sogyal Rinpoche hat die Szene für uns festgehalten*).

„Wir alle schauten auf zu diesem gütig leuchtenden Berg von einem Mann, der gleichzeitig Gelehrter, Poet und Mystiker war … Er machte eine Pause und blickte in die Ferne:

Ich bin nun achtundsiebzig Jahre alt und habe in meinem Leben so viel gesehen. So viele junge Menschen sind gestorben, so viele Menschen in meinem Alter und so viele, die älter waren als ich. So viele Menschen, die an der Spitze standen, sind tief gefallen. So viele Menschen, die unten waren, sind an die Spitze aufgestiegen. So viele Länder haben sich verändert. Es hat soviel Aufruhr und Katastrophen gegeben, so viele Kriege und Seuchen (…) Und doch sind all diese Veränderungen nicht wirklicher als ein Traum. Wenn du tief genug schaust, erkennst du, dass nichts dauerhaft und beständig ist, nichts – nicht einmal das kleinste Härchen auf deinem Körper. Und das ist keine bloße Theorie, sondern etwas, was du wirklich selbst erkennen und mit deinen eigenen Augen sehen kannst.”

*) Das tibetische Buch vom Leben und Sterben, O. W. Barth Verlag, 1995, S. 42
Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dilgo_Khyence_rinpoche.jpg?uselang=de
Kommentar schreiben
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.